Babys Sinne nach der Geburt: Wie nimmt das Neugeborene die Welt wahr?

Aktualisiert am: 03.02.2022

Bei der Geburt ist das Neugeborene mit allen fünf Sinnen ausgestattet. Viele Eltern fragen sich vor allem in den ersten Lebenswochen, wie viel das Neugeborene sehen, hören und fühlen kann.

Während einige der Sinne bereits bei der Geburt voll entwickelt sind, benötigen einige Sinnesorgane mehr Zeit, um zu ihrer vollen Funktion heranzureifen. Im Laufe der ersten Lebenstage und -wochen entwickeln diese sich jedoch schnell weiter, sodass das Baby immer mehr von seiner Umgebung wahrnehmen kann.

Die ganze Welt im Blick – So sehen Babys in den ersten Lebenstagen

Die Augen von Neugeborenen sind etwa halb so groß wie die von Erwachsenen. Das größte Wachstum erfahren sie im Laufe des ersten Lebensjahres. Die meisten Babys werden mit hellgrauen oder blauen Augen geboren. Die Augenfarbe kann sich bei vielen Kindern innerhalb der ersten sechs Lebensmonaten noch verändern.

Grund dafür ist, dass die sogenannten Melanozyten bei vielen Neugeborenen noch nicht voll ausgereift sind. Diese Zellen produzieren den Farbstoff (Melanin) für die Augenfarbe und entwickeln ihre volle Funktionalität erst nach einigen Monaten.[1]

Bei nur geringer Melaninproduktion verfärben sich die Augen das Babys nach einigen Monaten grün. Eine starke Ausschüttung des Farbstoffes führt zu braunen Augen. Die Konzentration des Wirkstoffes ist genetisch bedingt und kann weder vorhergesagt noch beeinflusst werden.[2]

Die endgültige Augenfarbe ist bei einem Lebensalter von etwa 12 Monaten erreicht. Erst dann wird die Bildung des braunen Pigmentes eingestellt und der ausgeschüttete Farbstoff vollends im Auge eingelagert.[3]

Bei der Geburt ist das Baby zunächst kurzsichtig. Scharfes Sehen ist nur im Nahbereich zwischen 20 und 30 cm möglich; die Sehschärfe entspricht damit bei der Geburt nur etwa 10 %.[4] Dass die Augen stark lichtempfindlich sind, erkennen Eltern vor allem daran, dass das Baby bei hoher Helligkeit die Augen schließt.

Auch das räumliche Sehen ist bei Neugeborenen noch nicht vorhanden. Erst ab der 16. Lebenswoche können Babys ihre Umwelt dreidimensional wahrnehmen.[5] Das räumliche Sehvermögen entwickelt sich genau wie koordinierte Augenbewegungen erst durch regelmäßige optische Reize.

Dies ist auch der Grund dafür, dass viele Neugeborene leicht schielen. Dennoch sind sie schon in den ersten Lebenstagen dazu in der Lage, bewegte Objekte mit den Augen zu fokussieren und zu verfolgen.

Auch die voll ausgeprägte Farbwahrnehmung entwickelt sich erst nach einigen Lebenswochen. Neugeborene können Helligkeit und Dunkelheit gut unterscheiden und bevorzugen Objekte mit hohen Kontrasten. Farben können Babys aber erst mit etwa zwei Monaten unterscheiden.

So gut hören Neugeborene

Das Gehör gehört zu den Sinnen, die bereits vor der Geburt weit entwickelt sind. Schon ab der 20. Schwangerschaftswoche nimmt das Ungeborene Geräusche außerhalb des Mutterleibes wahr.[6]

Viele Mütter erleben, dass laute Geräusche die Kindsbewegungen im Mutterleib verstärken und dass sich das Ungeborene durch sanfte Töne oder die Stimme der Mutter beruhigen lässt.

Direkt nach der Geburt sind die meisten Babys bereits in der Lage, die Stimmen von Vater und Mutter zu erkennen. Hier zeigt sich häufig, dass Babys höhere Stimmen bevorzugen und besser auf diese reagieren.

Weil die Geräusche im Uterus stark abgeschwächt und dumpf ankommen, sind viele Neugeborene in den ersten Lebenstagen lärmempfindlich. Der Übergang zum ungefilterten Hörvermögen wird jedoch durch in den Ohren verbliebenes Fruchtwasser erleichtert. Dieses dämpft die Umgebungsgeräusche ab und zersetzt sich nach einigen Lebenstagen.

Gesprochene Sprache gehört zu den Lieblingsgeräuschen von Babys. Bereits ab dem Geburtstag können sie Gespräche von Umgebungsgeräuschen herausfiltern und scheinen gezielt zuzuhören, wenn jemand spricht. Vor allem die Stimme der Mutter kann das Baby dabei besonders gut von anderen akustischen Reizen unterscheiden.

Weil das Hörvermögen bereits bei der Geburt gut entwickelt ist, gehören Spieluhren zu den beliebtesten Beschäftigungsmöglichkeiten für Neugeborene. Auch das Vorsingen von Liedern und das Spielen von leiser, ruhiger Musik wird von vielen Babys sehr positiv aufgenommen.

Genau wie bei der Entwicklung des Sehsinns ist die Entwicklung des Ohres von äußeren Reizen abhängig. Etwa drei Monate nach der Geburt sind alle Hörorgane ausgereift und voll funktionsfähig. Je mehr Höreindrücken das Baby in den ersten Lebensmonaten ausgesetzt ist, desto schneller reift der Teil des Nervensystems, der für die Schalllweiterleitung und -verarbeitung zuständig ist.[7]

Forschern fiel in einer Studie (Mampe et al. 2009) auf, dass bereits Neugeborene mit ihren Lautäußerungen die Sprache ihrer Familienmitglieder imitieren. Vor allem das Weinen und Schreien zeigte dabei deutliche Gemeinsamkeiten mit der jeweiligen Muttersprache.[8]

Weil die Sprachentwicklung vor allem auf Imitation basiert, ist ein gut entwickelter Gehörsinn für Babys essentiell. Deswegen werden Neugeborene bereits bei der U1 auf eventuelle Hörstörungen getestet und durchlaufen auch bei den weiteren Früherkennungsuntersuchungen immer wieder ein Hörscreening. Angeborene Fehlentwicklungen des Gehörsinns lassen sich so schnell feststellen und frühestmöglich behandeln.[9]

Weil das Gehör bei der Geburt nicht voll entwickelt ist, sollten Eltern das Hörvermögen ihres Babys regelmäßig testen lassen. Auch Infektionen des Mittelohres sollten immer von einem Kinderarzt behandelt werden, um Folgeschäden und Verzögerungen der Entwicklung zu vermeiden.

Wie kommt das Baby auf den Geschmack?

Ähnlich wie beim Hören entwickelt sich der Geschmackssinn bereits in einer frühen Phase der Schwangerschaft. Die ersten Geschmacksknospen auf der Zunge des Embryos können etwa aber der achten Schwangerschaftswoche beobachtet werden. Bis das Ungeborene zum ersten Mal etwas schmecken kann, vergehen jedoch noch weitere vier bis sechs Wochen.

Mit dieser sehr früh einsetzenden Entwicklung gehört der Geschmack zu den Sinnen, die als erstes – noch vor dem Hören und Sehen – vom Ungeborenen verarbeitet werden können.

Der Geschmack des Fruchtwassers ist dabei der erste geschmackliche Eindruck, den das Baby bereits im Mutterleib erfahren kann. Im letzten Drittel der Schwangerschaft schluckt das Baby etwa 15 bis 40 ml Fruchtwasser pro Stunde.[10]

Die Entwicklung des Geschmackssinns wird ebenfalls von äußeren Sinnesreizen beeinflusst. Weil der Geschmack des Fruchtwassers von der Ernährung der werdenden Mutter abhängt, lernen Ungeborene bereits während der Schwangerschaft eine Vielzahl von Geschmacksrichtungen kennen.[11]

Süß wird dabei von den meisten Babys mit Abstand bevorzugt. Schon im Mutterleib kann beobachtet werden, dass der Fötus mehr Fruchtwasser trinkt, wenn dieses mehr Zucker enthält.

Mit diesem Wissen können werdende Mütter schon früh auf den Geschmackssinn des Babys einwirken und beispielsweise den angeborenen Heißhunger auf Süßes aktiv beeinflussen. Eine abwechslungsreiche Ernährung in der Schwangerschaft legt so den Grundstein für eine vielseitige Entwicklung aller Geschmacksknospen.

Genau wie das Fruchtwasser schmeckt auch die Muttermilch leicht süßlich. Evolutionsbiologisch ist die Vorliebe für Süßes deswegen für das Baby ein entscheidender Überlebensvorteil.

Bitter und Sauer sind zwei weitere Geschmacksrichtungen, die das Neugeborene bereits bei der Geburt unterscheiden kann. Beide werden von Babys direkt nach der Geburt instinktiv abgelehnt. Bitter und sauer sind häufig Indikatoren für Lebensmittel, die noch nicht reif oder bereits verdorben sind. Salzig können Babys erst im Alter von etwa vier bis fünf Monaten wahrnehmen.

Schon bei der Geburt voll entwickelt: Der Geruchssinn

Der Geruchssinn ist eng mit dem Geschmackssinn verbunden. Bei der Geburt ist er bereits voll ausgereift und spielt eine große Rolle für die Entwicklung des Babys. Ein gut ausgeprägter Geruchssinn erleichtert das erste Stillen, weil die Brust der Mutter wie das Fruchtwasser riecht. Instinktiv findet das Neugeborene so die natürliche Nahrungsquelle.

Die Anzahl der Duftdrüsen an der Brust bestimmt zudem, wie aktiv Babys beim Stillen sind. Je ausgeprägter sie den Duft der Mutter wahrnehmen können, desto mehr werden sie zum Saugen und Trinken animiert.[12]

Durch den engen Zusammenhang von Geruchs- und Geschmackssinn können Ungeborene bereits im Mutterleib verschiedene Aromen wahrnehmen. Schon kurz nach der Geburt zeigt sich, dass sie verschiedene Düfte auseinanderhalten können.

Viele Neugeborene bevorzugen Aromen, die an den Geschmack des Fruchtwassers erinnern. Isst die Mutter in der Schwangerschaft Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Aromen oder ätherischen Ölen (z. B. Knoblauch oder Anis), so können Babys nach der Geburt diese Düfte wiedererkennen. Auf Düfte mit hohem Wiedererkennungswert reagieren viele Neugeborene sichtbar positiv.[13]

Studien belegen außerdem, dass Babys vertraute Familienmitglieder und insbesondere auch die Mutter am Geruch erkennen können. Forscher unterzogen Neugeborene für diese Untersuchung einem Test mit verschiedenen Proben von Muttermilch.

Eine Probe stammte dabei von der Mutter, die anderen von fremden Spendern. Es zeigte sich, dass bei einem Großteil der Babys die Milchprobe der eigenen Mutter den Appetit besonders anregte und für eine spürbar positivere Reaktion sorgte.[14]

Über den Geruchssinn wird also nicht nur eine optimale Ernährung sichergestellt, sondern insbesondere auch die Mutter-Kind-Bindung gestärkt. Bekannte Gerüche stärken das Urvertrauen des Neugeborenen und sorgen beispielsweise in Stresssituationen für Ruhe und Entspannung.

Warum der Tastsinn für Neugeborene so wichtig ist

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts unterlagen Forscher einem fatalen Irrtum: Sie nahmen an, dass Neugeborene aufgrund ihres unterentwickelten Gehirns nicht in der Lage sind, Schmerzen zu verspüren. Dies führte unter anderem dazu, dass Babys nur mit minimaler Schmerzbehandlung oder sogar gänzlich ohne Betäubung bzw. Narkose operiert wurden.[15]

Was heute als skandalös gilt, war bis weit in die 1980er Jahre hinein gängige Praxis in deutschen Krankenhäusern. Einem Artikel in DIE ZEIT (Ausgabe 45/1987) zufolge war man zu dieser Zeit der Ansicht, dass das Risiko einer wirksamen Schmerzbehandlung höher ist als der Nutzen, weil Neugeborene ohnehin kaum Schmerz verspüren können.[16]

Heute weiß man, dass Babys sehr wohl auf Schmerzreize reagieren und dass sich ihr Tastsinn bereits im Mutterleib entwickelt. Ungeborene können beispielsweise spüren, wenn die Mutter über ihren Bauch streicht.

Weil Neugeborene nicht gut sehen, nehmen sie in den ersten Lebenswochen mit ihren weiter entwickelten Sinnesorganen Kontakt zu ihrer Umwelt auf. Es gilt dabei als erwiesen, dass vor allem Körperkontakt zu einer gesunden Entwicklung des Babys beiträgt.

In Tierversuchen mit Affenbabys zeigte Harry Harlow schon im Jahr 1958, dass die Tiere Körperkontakt sogar der Nahrungsaufnahme vorziehen.[17] Seit den 60er Jahren besteht kein Zweifel mehr daran, dass Berührungen für Neugeborene und Säuglinge in besonderem Maße zu einer gesunden körperlichen, sozialen und mentalen Entwicklung beitragen.

Die Vorliebe für Berührungen beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf das berührt werden. Vor allem in den ersten Lebensmonaten kompensieren Babys ihre mangelnde Sehschärfe mit einem besonders gut entwickelten Tastsinn.

Durch Anfassen lernen sie so ihre Umgebung kennen. In Studien zeigt sich außerdem, dass Babys sich an Formen wieder erinnern können, wenn sie das gleiche Objekt häufiger in der Hand halten.

Für die soziale Interaktion spielt der Tastsinn ebenfalls eine entscheidende Rolle. So neigen viele Babys dazu, das Gesicht der Mutter immer wieder zu berühren. Auf diese Weise lernen sie es nicht nur optisch, sondern auch haptisch kennen.

Gegenstände, die Babys häufig berührt und mit den Händen ertastet haben, können sie mit fortschreitender Entwicklung der Sehschärfe auch mit den Augen besser wiedererkennen.

Im Laufe der nächsten Lebensmonate werden Gegenstände vom Baby nicht nur mit den Händen auf ihre taktilen Eigenschaften untersucht, sondern auch mit dem Mund. Alle Körperstellen, die mit besonders vielen Tastrezeptoren ausgestattet sind, dienen dem Baby dazu, möglichst viele Sinnesreize eines Objektes wahrzunehmen.

Quellen

[1]https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-29-2004/uid-12279

[2]https://www.spektrum.de/frage/warum-haben-die-meisten-babys-bei-der-geburt-blaue-augen/1040511

[3]https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/gesundheit/Biologie-Warum-haben-alle-Babys-zu-Beginn-blaue-Augen,1000-antworten-794.html

[4]https://jks.lvr.de/media/lvr_johannes_kepler_schule/fruehfoerderung/Entwicklung_Sehverhalten.pdf

[5]https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/hirnforschung-raeumliches-sehen-wird-erlernt-a-839569.html

[6]https://www.hno-aerzte-im-netz.de/unsere-sinne/hoeren/entwicklung-des-gehoers.html

[7]https://www.ukgm.de//ugm_2/deu/umr_pho/Bilder/screenv.html

[8]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19896378

[9]https://www.gesundheitsinformation.de/hoertests-bei-neugeborenen.2609.de.html?part=frueherkennung-h6

[10]

[11]https://www.scinexx.de/dossierartikel/feinschmecker-im-fruchtwasser/

[12]https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2009/stillen-ist-dufte-100.html

[13]https://www.welt.de/print-wams/article609380/Wie-Babys-denken.html

[14]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15841774

[15]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23548489

[16]https://www.zeit.de/1987/45/streit-um-babys-schmerz

[17] Schneider/ Margraf: Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd. 3, S. 59

Bildquellen

Illustrationen: Natalya Zelenina